Eine Lehrstunde in Sachen «Service public»

Ge­mein­de­wer­ke Spreitenbach

Nach einer Stunde und acht Traktanden wurden alle Anträge an der Gemeindeversammlung vom Juni 2022 in Spreitenbach genehmigt.

Unter dem letzten Punkt «Verschiedenes» zeigte sich dann aber, was viele Stimmberechtigte wirklich bewegte: Der auf den 1.November angekündigte Wechsel von der Schlieremer Firma GIB-Solutions, die bisher das Signal für das Kommunikationsnetz der Gemeinde lieferte, zu Sunrise/ UPC.

Dies hat zur Folge, dass die in der Gemeinde beliebte Endung der E-Mail-Adressen, flashcable.ch, verschwindet. Für rund 6000 Kabelnetzanschlüsse hat sich Spreitenbach auch als Netzbetreiberin betätigt und ein Angebot für Internet und Festnetz-Telefonie wie auch E-Mail-Adressen zur Verfügung gestellt –  unter der Marke «Flashcable» und dies seit zwei Jahrzehnten.

Diesem System will der Gemeinderat nun den Rücken kehren.

Er hatte deshalb die Signalzustellung des eigenen Kommunikationsnetzes neu öffentlich ausgeschrieben. Dabei habe Sunrise/UPC das vorteilhafteste Angebot eingereicht, teilte der Gemeinderat im Vorfeld der Gemeindeversammlung mit. Inzwischen wurde dem bisherigen Signallieferanten GIB-Solutions gekündigt, eine Vertragsunterzeichnung mit Sunrise/UPC steht aber noch aus.

Viele Nachteile

Die Stimmberechtigten wie auch die Geschäftsprüfungskommission (GPK) sind mit dem Systemwechsel alles andere als glücklich und zeigten dies offen. «Sie verlieren ihre bisherige E-Mail-Adresse ‹flashcable. ch› und müssen alle Computer und Mobiltelefone umstellen, alle Kontakte über die Änderungen informieren sowie alle Konten bei Banken, Versicherungen, Abodiensten und Onlineshops neu einrichten», zählte GPK-Mitglied Marcel Suter die Auswirkungen des Systemwechsels für die Spreitenbacher/innen auf.

Der zweite gewichtige Nachteil: Neben einem viel kleineren Angebot an Radio- und Fernsehsendern (bislang 200 TV-Sender) ist zu erwarten, dass die Kosten sich zwölf Monate nach Vertragsabschluss verdoppeln werden.

Gemeindepräsident Markus Mötteli stellte in Abrede, dass das Angebot anschliessend viel kleiner sein werde. Zudem sei der Preis für das Basis-Angebot Verhandlungssache zwischen der Gemeinde und dem Anbieter.

Kompetenzgerangel

Vordergründiger Zankapfel bei diesem Geschäft war die Frage, ob dieses zwingend an einer Gemeindeversammlung vorgelegt werden muss oder nicht.

Der Gemeindepräsident sagte, dass die Angelegenheit in der Kompetenz des Gemeinderats liege, weshalb er nicht auf den Antrag eingehen könne, dass der Vertrag mit Sunrise der Gemeindeversammlung vorgelegt werden müsse. Durch den Systemwechsel würden der Gemeinde keinerlei zusätzlichen Ausgaben aufgebürdet, sondern der Gemeindekasse würden sogar zusätzliche Einnahmen zufallen. (Nun muss man wissen: Der Gewinner dieser öffentlichen Ausschreibung offerierte dem Gemeinderat für das Neugewinnen von Kunden ein stattliches Sümmchen im mutmasslich sechsstelligen Bereich.)

Die GPK sah es anders und verwies auf § 20, Buchst. 1, h) im Gemeindegesetz: In der Kompetenz der Gemeindeversammlung ist, der besagt, dass «die Genehmigung von Verträgen über die Übertragung von Aufgaben an Dritte und von Gemeindeverträgen, deren Folgen für die Gemeinden oder unmittelbar deren Einwohner von erheblicher finanzieller Bedeutung sind.», abgestimmt werden kann.

Service public – auch im Munde der Bürgerlichen

Der spannendste Aspekt dieses Themas kristallisierte sich erst während der hitzigen Diskussion heraus: Wie definieren wir «Service public», also eine Grundversorgung mit standardmässiger Infrastruktur? Und wem soll sie nützen?

Josi Bütler, notabene FDP-Präsident und einer der Vorgänger des jetzigen Gemeindepräsidenten, ergriff das Wort: «Wir sprechen von Kostenoptimierung innerhalb der Gemeinde. Die Kosten tragen alle Kunden des Kommunikationsnetzes, also die Spreitenbacherinnen und Spreitenbacher.» Das könne nicht Sinn und Zweck der Ausschreibung sein. Er sei damals zu flashcable.ch gewechselt, weil er der Überzeugung war, dass die Gemeinde ein verlässlicher Vertragspartner sei. Nun würde er eines Besseren belehrt; eine Cashcow würde zur Schlachtbank geführt. Es bestehe die reale Gefahr, innert Kürze das Dreifache für die leitungsgebundene Telekommunikation zu bezahlen. «Für mich ist das Abbau des Service public», so Bütler.

Beni Oehrli, ein Mitglied unserer SP-Sektion, meldete sich ebenfalls: «Ich bin fast in Ohnmacht gefallen, als ich gehört habe, an wen die Gemeinde das Kommunikationsnetz auslagern will.» Sunrise/UPC sei der letzte Partner, den man dafür auswähle. Das liege an der schlechten Servicequalität. «Wer ein Problem hat, muss lange warten, bis es gelöst wird.» Wie das Projekt der Neuausschreibung aufgegleist worden sei und nun umgesetzt werde, sei völlig daneben.

Zurück auf Feld Eins

Nach wiederholtem Schlagabtausch mit der GPK, ob man über den Überweisungsantrag der GPK in dieser Form abstimmen lassen könne, lenkte Mötteli ein und schlug vor, die offenen Fragen und Anliegen zu klären und die Stimmberechtigten zu einem späteren Zeitpunkt zu informieren. Es ist zu hoffen, dass der Gemeinderat sich nun hütet, vorschnell den Vertrag mit Sunrise/UPC zu unterzeichnen.

Manuel Fischer (einige Passagen sind der Tagespresse entnommen)